Schutzkonzept ... was ist das ... wozu brauchen wir das?

 

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Auch bei uns in der Kirchengemeinde hat das Thema Schutzkonzept Einzug gehalten. Viele Jahre lang wurde sich allgemein wenig über dieses Thema Gedanken gemacht. Mittlerweile liest man aber immer häufiger erschreckende Nachrichten über Missbrauch in der Kirche und über die fehlende Aufarbeitung. Die Nordkirche hat daraus ihre Konsequenzen gezogen und jede Kirchengemeinde aufgefordert, als Präventionsmaßnahme ein Schutzkonzept zu erstellen. Dafür haben wir im Kirchengemeinderat ein Schutzkonzeptbeauftragten-Team gebildet, dass sich diesem Thema widmet. Dieses besteht aus Leweke von Hoff, Anja Schröder und Denise Rabenhorst.

Aber was heißt Schutz? Was beinhaltet das? Was ist eigentlich übergriffig und wen wollen wir schützen? Warum erst jetzt und nicht schon früher? Wie machen wir das jetzt konkret und was ist der Plan?


Wenn ich Schutz und auch Fürsorge höre, erscheinen sofort Schlagworte wie sexualisierte Gewalt, Kindeswohlgefährdung, Prävention, Konzepte, Wohlbefinden von Kindern, Straftat, Haftung und Diskriminierung vor meinem inneren Auge – keine schönen Dinge jedenfalls. Aber nicht nur diese ganz schlimmen Formen, sondern auch die vermeintlich kleineren und harmloseren Dinge wie eine ungewollte Umarmung oder ein übergriffiger Kommentar sind Gegenstand von Schutz und Fürsorge.


Ich möchte das Ganze an einem Beispiel verdeutlichen: Eine Gruppe Kinder spielt Fangen, ein Mädchen stolpert, schürft sich das Knie auf und beginnt zu weinen. Ein Gruppenleiter bekommt es mit, will seiner Verantwortung nachgehen und sich um das verletzte Mädchen kümmern. Dazu geht er zu ihr, nimmt sie tröstend in den Arm und setzt sie sich danach auf seinen Schoß, um ein Pflaster auf die Wunde zu kleben. Soweit so gut oder etwa nicht?! Wieso nimmt er das Kind ungefragt in den Arm? Wieso muss das kleine Mädchen bei ihm auf dem Schoß sitzen, um das Pflaster zu bekommen? Ist es überhaupt okay, dass er als Mann sich um das Mädchen kümmert oder müsste das nicht die Gruppenleiterin machen, die auch noch da ist? Wie hat sich das kleine Mädchen dabei gefühlt – fand sie das toll oder war sie ihm schutzlos ausgeliefert? Hätte sie die Möglichkeit gehabt sich zu wehren und klar zum Ausdruck bringen können, dass sie sich unwohl fühlt? Wie ist das Verhältnis der Beiden zueinander – ist er ihr recht fremd oder kennen sie sich schon ganz lange? Dies sind nur einige Fragen, die man sich zu dieser Situation stellen könnte. Dies soll keinen Generalverdacht befürworten, lediglich ein wachsames Auge. Die allermeisten Situationen, die so oder ähnlich ablaufen, sind absolut legitim. Dem Gruppenleiter spricht man zu, dass er weiß, was er tut, ist sensibilisiert und das kleine Mädchen kennt ihn schon lange. Beide und auch alle umstehenden sind absolut entspannt in der Situation. Nicht jedes Rascheln im Busch ist gleich ein blutrünstiger Tiger.


Schnell wird also deutlich, dass Schutz und Fürsorge so viel weiter geht und nicht nur die großen, offensichtlichen Straftaten wie Missbrauch oder Vergewaltigung beinhaltet. Es geht nämlich vor allem darum, aufmerksam zu werden, sich bewusst zu machen, was man wann und wie tut oder welche Wirkung/Konsequenzen mein Handeln hat. Man muss sich den Grenzen von anderen bewusst sein, darf diese niemals überschreiten. Man muss erkennen, dass die eigenen Grenzen nicht automatisch auch die der anderen sind. Es gehört dazu, dass man viel beobachtet und analysiert ohne über zu reagieren – nicht jede Umarmung ist auf einmal sofort ungewollt. Ein Schutzkonzept soll nicht geißeln oder Angst machen, nur noch Fehler machen zu können. Es soll vielmehr als Leitfaden dienen und Sicherheit im Umgang miteinander geben, ganz nach dem Motto: „Unwissenheit macht Angst – Wissen macht stark“
Aber wen soll denn das Schutzkonzept nun schützen? Kurz und knapp: Alle! Es soll zum Beispiel die Kinder schützen, die in unsere Obhut gegeben werden bei den Pfadfindern oder dem Konfirmandenunterricht oder es sollen auch die Gruppenleiter geschützt werden. Es soll allen Menschen, die sich in der Kirchengemeinde einander begegnen, einen sicheren und geschützten Rahmen geben – vom Täufling über die Brautpaare, Gottesdienstbesuchende und Senioren. Deshalb geht es auch alle an und wir berichten offen darüber, denn das Thema ist richtig und sehr wichtig.


Wenn das Thema also so wichtig ist, warum kommt es erst jetzt auf den Tisch und nicht schon vor über 826 Jahren als die Kirchengemeinde gegründet wurde? Gab es damals keinen Grund für Schutz oder lief damals alles toll und keiner hat sich etwas zu Schulden kommen lassen? Natürlich nicht! Auch damals hat es schon Missbrauch, Übergriffe an schutzlosen gegeben. Das Thema war zu unbekannt, ist sehr komplex und meist gab es zum Glück auch keine konkrete Veranlassung; man appellierte an den gesunden Menschenverstand und ging davon aus, dass alles gut läuft. Gewiss kann man sich aber die Frage stellen, warum dieses so immens wichtige Thema dennoch nicht schon früher in Angriff genommen wurde und einen Schuldigen zu finden, fühlt sich kurzzeitig auch gut an. Sicherlich sind auf allen Seiten Versäumnisse zu verzeichnen und auch die Aufarbeitung bereits geschehener Dinge auf deutschlandweiter Kirchenebene, lässt an vielen Stellen sehr zu wünschen übrig und ist zu verurteilen. Da wir als kleine Kirchengemeinde aber nichts an der Vergangenheit ändern können, ist es umso wichtiger, dass wir uns nun diesem Thema annehmen und es nicht aufschieben, sondern uns für die Zukunft wappnen und durch dieses präventive Konzept verhindern, dass erst gar nichts geschieht. Des Weiteren bietet es die Möglichkeit, die Transparenz als Vorbild für jegliches Miteinander und im Umgang mit Menschen gleich welcher Herkunft, welchen Alters, etc. innerhalb der Gemeinde zu nutzen.


Okay, das klingt ja alles schön und gut, aber wie funktioniert das jetzt alles und was ist der Plan zur Erstellung dieses Konzeptes?


Wir stehen noch relativ am Anfang der Erstellung. Bisher hatten wir im April 2023 eine Onlineschulung vom Kirchenkreis, wo wir die Grundlagen und Inhalte eines Schutzkonzeptes gelernt haben. Die oben genannte Bildung des Schutzbeauftragtenteams war auch ein erster Schritt im März 2023.
Im Oktober des selben Jahres haben wir mit der Leitungsrunde derPfadfindern eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen, sowie angefangen einen Notfallplan für Krisenintervention im Verdachts- und Mitteilungsfall zu erstellen. Im folgenden November wurde ein Interventionsteam im und für den Stamm benannt. Dieses Interventionsteam soll Vertrauensperson sein, soll beratend für die Gruppeleitung da sein, sowie Ansprechperson mit ständiger Erreichbarkeit sein und sich besonders schulen und das erlangte Wissen weitergeben.
Im Januar 2024 hat das KGR-Schutzkonzeptteam eine tiefergreifendere Schulung beim Kirchenkreis besucht. Darauf wird nun die weitere Erstellung des Schutzkonzeptes aufbauen und innerhalb des Jahres 2024 dann hoffentlich auch abgeschlossen werden können. Da das Thema aber sehr komplex ist, werden wir uns Stück für Stück vorarbeiten müssen. Wer Wünsche oder Anregungen hat, kann diese gerne bei uns anbringen. Ansonsten hören wir uns entweder mit einem Update oder dem Schutzkonzept wieder.


Wer eine unabhängige Ansprechstelle sucht, wird bei https://www.wendepunkt-ev.de/una/fündig. Diese Ansprechstelle ist für Menschen, die sexuelle Übergriffe in der Nordkirche erlebt oder davon erfahren haben.


Ein letzter Hinweis noch:

Am 25.01.2024 wird die ForuM-Studie veröffentlicht. Auf der Webseite heißt es zur Studie: „Der Forschungsverbund hat das Ziel, eine Analyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die (sexualisierte) Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen, vorzulegen.

Somit soll eine empirische Basis für weitere Aufarbeitungsschritte der evangelischen Kirche und Diakonie gelegt werden.“ Auch darüber werden wir sicherlich noch viel hören und berichten/berichtet bekommen.


Denise Rabenhorst

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